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Ertrunken oder geopfert?

Zur Publikation "Gewässerfunde aus Port und Umgebung" von René Wyss, Toni Rey und Felix Müller, Schriften des Bernischen Historischen Museums, Bern 2002


Die 1858 entdeckte Fundstelle La Tène am Ausfluss der Zihl aus dem Neuenburgersee ist vielleicht der bekannteste urgeschichtliche Fundort der Schweiz. Die rund 2500 Objekte der jüngeren Eisenzeit, die dort seither  vom Flussgrund heraufgefördert oder nach der Senkung der Juragewässer (1. Korrektion 1868-83) ausgegraben worden sind, waren so spektakulär, dass man der entsprechende Periode den Namen La Tène – Zeit gab. Bei den Funden handelte es sich vor allem um Waffen. Zur Deutung sind seit der Entdeckung immer wieder neue Vorschläge gemacht worden. Man hat darin ein in den Fluss gestürztes Waffenlager vermutet, Beutegut von Bibrakte, eine ehemalige "Sumpffestung", Zeugen einer Zollstation oder von einem Handelsplatz am Flussübergang oder auch – nicht zuletzt wegen der ebenfalls aufgefundenen Menschen- und Tierknochen – von einem Opferplatz.

             

Funde aus der Zihl bei Port BE.
links aussen: keltisches Eisenschwert mit zugehöriger Scheide.
oben links: mit stilisierten Drachen verziertes Mundfeld einer Schwertscheide.
oben rechts: vermutlich keltischer, aber römischen Stücken nachgebildeter Helm.

Nach der sensationelle Entdeckung von Resten einer keltischen Brücke in Cornaux - Les Sauges weiter unten an der Zihl während der zweiten Juragewässerkorrektion im Jahr 1965 gewann die Theorie, es handle sich um die Reste einer Hochwasserkatastrophe mit Brückeneinstürzen, eifrige Verfechter. Zwischen den in Cornaux - Les Sauges freigelegten Hölzern, die dendrochronlogisch auf 143 v. Chr. datiert werden konnten, fanden sich die Skelette oder Skeletteile von mindestens 18 Menschen (vgl. Bild auf der Startseite, das erscheint wenn man mit dem Mauszeiger über das Wort "Archäologie" fährt), Tierknochen, Schwerter, Lanzenspitzen und andere Geräte. Zu Zweifeln an der Theorie von Brückeinstürzen in La Tène und Cornaux gaben vor allem folgende Fragen Anlass:

- Warum treten unter den Funden vor allem Waffen auf?
- Wie erklärt man das eine längeren Zeitraum umfassende Fundspektrum?
- Weshalb wurden die Menschen bei Hochwasser nicht fortgeschwemmt, als sie wegen des Brückeneinsturzes ins Wasser fielen?
- Wie erklärt man weitere ähnliche Flussfunde mit einem grossen oder überwiegenden Waffenanteil?

Die letzte Frage stellte sich vor allem wegen der nicht minder bedeutenden, aber nicht gleichermassen beachteten Gewässerfunde aus Port und Umgebung. Die Fundstelle von Port liegt nur 22 km von La Tène entfernt an der unteren Ziel. Die meisten Funde wurden während der ersten Juragewässerkorrektion um 1868 - 75 und später bei der Erneuerung einer Schleusenanlage gemacht.

Dampfkran an der Zihl zum Entleeren der Schuttmulden. Erste Juragewässerkorrektion um 1868 - 75.

Ein Gesamtkatalog liegt seit diesem Jahr vor. Es ist ein grosses Verdienst der Autoren die längst fällige Arbeit mit grosser Sorgfalt durchgeführt zu haben und es ist sehr zu hoffen, dass dies Anstoss gibt, die Funde von La Tène nun endlich auch einmal in einem vollständigen wissenschaftlichen Katalog darzustellen. Ein guter Überblick über die Forschungsgeschichte und eine zusammenfassende Darstellung der Argumente, die gegen die Theorie von Brückeneinstürzen und für die Deutung als Opferplätze spricht, macht die Neuerscheinung über Port auch für diejenigen interessant, die sich nicht tiefer mit den einzelnen Fundtypen befassen möchten. Ferner finden sich viele Hinweise auf vergleichbare Funde neuerer Zeit im Ausland, die ebenfalls als Opferfunde zu deuten sind. Von allen Schwertern (75 keltische!), Schwertscheiden, Lanzen- und Pfeilpitzen sind sowohl Fotos als auch Zeichungen zu finden, von den restlichen Funden nur Fotos. Jedes Stück ist beschrieben und es sind auch die Nachweise von vielen heute im Original nicht mehr auffindbaren Objekten vorhanden.

Denkt man an die moderne Unterwasserforschung, fragt man sich nach der Lektüre dieser Publikation, ob neben der Prospektion bei mutmasslichen Pfahlbau-Siedlungsstellen nicht auch gewisse Flussläufe abgesucht werden sollten.

Text: archaeoforum.
Bild auf Startseite: Archives du Musée cantonal d'archéologie, Neuchâtel.
Bilder oben: nach René Wyss, Toni Rey und Felix Müller, Gewässerfunde aus Port und Umgebung, Bern 2002.

 

Ulrich Ruoff

Die ältesten Räder und Wagen in der Schweiz

Im Jahr 1976 sind bei einer Rettungsgrabung auf dem Areal Pressehaus in Zürich die Fragmente von drei Scheibenrädern gefunden worden. Die Radscheiben bestanden aus Ahornholz und waren jeweils aus zwei Brettern mittels Einschubleisten aus Esche zusammengesetzt. Der Durchmesser betrug ursprünglich 68 und 65 cm. An zwei Rädern war noch das rechteckige Achsloch zu erkennen. Die Räder steckten senkrecht im Seekreideboden. Zwischen zwei von ihnen lag noch, wenn auch schlecht erhalten und in mehrere Stücke zerbrochen, die zugehörige Achse. Der ursprüngliche Radabstand betrug zwischen 1.10 und 1.20 Meter. Das dritte Rad fand sich rund 3.50 Meter entfernt und 15 Grad aus der Richtung gedreht. Die einst fest an einer drehbaren Achse sitzenden Räder lassen vermuten, dass es sich um Reste von zwei zweiräderigen Karren handelte. Die Datierung in die Zeit der Schnurkeramik ist gesichert. Die Funde kamen unmittelbar innerhalb der Palisaden eines schnurkeramischen Uferdorfes zum Vorschein, die Achse lag im Horizont der schnurkeramischen Schicht, die im Bereich der Wagenreste allerdings fast vollständig erodiert war. Die C-14 Datierung einer Radscheibe hat 4290 ± 60 BP ergeben, was kalibiriert einem 2 Sigma-Bereich von 3100 – 2690 v. Chr. entspricht. Die dendrochronologischen Daten von Eichenpfählen mit Waldkante des Dorfes streuen von 2719 bis 2683 v. Chr.

Dank des Fundes vom Pressehaus konnte auch ein Holzfragment mit Einschubleiste und mit einem Bruchstück eines in eine rechteckige Durchbrechung eingelassenen Holzes von Vinelz, das vermutlich um 1882 gefunden worden ist,  eindeutig als Radfragment mit Achse erkannt werden. Am selben Ort wurde dann 1986 nochmals ein fast identisches Radfragment mit Achsbruchstück  aus einer schnurkeramischen Schicht geborgen. Aber auch aus andern Ufer- und Moorsiedlungen von der Westschweiz bis zum Federsee in Süddeutschland sind mittlerweile mehr als ein Dutzend weiterer Scheibenräder mit viereckigem Achsloch und Einschubleisten zum Vorschein gekommen. Wie bei den Stücken von Zürich-Pressehaus bestehen auch alle diese weiteren Scheibenräder aus Ahornholz. Der Durchmesser variiert von rund 40 bis 70 cm. Das kleinste Rad von St. Blaise am Neuenburgersee besteht aus nur einem Stück, obwohl es Einschubleisten aufweist. Die Datierungen liegen – soweit überhaupt Anhaltspunkte dafür bestehen – mit einer Ausnahme im 28. und 27. Jahrhundert v. Chr. . Die Ausnahme ist das Radfragment von der Moorsiedlung Seekirch – Stockhausen ( Federsee, Oberschwaben, D) das am Rande der Dorfstrasse einer Siedlung lag, die ein Fundmaterial ergab, das älter als das der Goldberg III  Art sein soll. Auch eine C14 Analyse einer Probe des Rades spricht für eine frühere Zeitstellung als die andern Räder, nämlich für die Zeit um 3000 v. Chr..

Ein ebenso altes oder noch älteres Scheibenrad mit rechteckigem Achsloch aber ohne Einschubleisten von Zürich – Akad ist schon seit 1979 bekannt. Es kam nur 35 Meter von den zuerst erwähnten Wagenresten von Zürich-Pressehaus zum Vorschein, gehört aber mit Sicherheit in einen älteren Fundhorizont, denn es lag deutlich unter den Ablagerungen, die mit der schnurkeramischen Kulturschicht im Pressehausareal in Zusammenhang standen, ebenso deutlich aber auch über der Kulturschicht der Pfynerkultur (um 3700 v. Chr.), die im Areal Akad ausgegraben wurde. Es darf deshalb wohl mit einer der verschiedenen Siedlungen der Horgenerkultur in Zusammenhang gebracht werden, die in nicht grosser Entfernung nachgewiesen sind. In 60 Meter Distanz wurden in einem Kanalisationsgraben nebst einer Horgener-Kulturschicht eine Reihe von Pfählen ausgegraben, die dendrochronologisch auf 3175 v. Chr. datiert werden konnten (Die Bedeutung eines Pfahles, der aufgrund des Splints um 3430 v. Chr. datiert und sich nur 20 Meter von der Radfundstelle entfernt befand, ist unklar. Es war das einzige Holz in einem längeren Graben, das nicht zur dortigen Pfynersiedlung zählt).

Die Diskussionen um Ursprung und Verbreitungswege des Rades und um Traditionen von Karren und Wagen, die aus dem Neolithikum bis in die Metallzeiten, ja gar bis in die Neuzeit führen sollen, scheitern immer wieder an der sehr unterschiedlichen Überlieferung. Aus urgeschichtlicher Zeit sind für weite Gebiete Europas nur bildliche Darstellungen oder Wagenmodelle bekannt. Beim Versuch der Herleitung werden auch oft Fahrzeuge der verschiedensten Funktion (Kult- oder Zeremonialwagen, Streitwagen, Reisewagen, Transportwagen für Nah- und Fernbereich, usw.) miteinander verglichen und irgendwelche einzelnen Merkmale als Beweis einer direkten Abhängigkeit angeführt. Das plötzliche Auftreten der schweizerisch-süddeutschen endneolithischen Räder seit 1976, das manches Umdenken notwendig gemacht hat, warnt uns vor Schlüssen, die losgelöst vom Nachweis anderer kultureller Zusammenhänge oder ohne genügende Kenntnis der Zeitstellung der betrachteten Fahrzeuge getroffen werden.

 

Interessant ist, dass die ersten Nachweise von Rädern in unserem Gebiet in eine Zeit fallen, in der offensichtlich das Land mehr geöffnet und grössere Feldflächen bebaut wurden. Es tritt während der Zeit unserer Gruppe auch erstmals der Pflugbau auf. Nach bildlichen Darstellungen zu urteilen, wurden Pflug und Karren meist von einem Zweiergespann von Rindern gezogen. Es ist zu vermuten, dass es sich bei den Karren um Transportfahrzeuge handelte, die vor allem für Transporte in der damaligen Subsistenzwirtschaft eingesetzt wurden, ein zwingende Begründung hiefür, vermögen wir allerdings nicht anzugeben, einzig die stattliche Zahl von Funden, alles Siedlungsfunde, weist in die Richtung. Der Einwand, Karren oder Wagen hätten ausserhalb der Siedlungen im hügeligen, stark bewaldeten Gelände kaum nutzbar eingesetzt werden können, ist sicher falsch. Zweiräderige Karren lassen sich – wie neuzeitliche Beispiele zur Genüge zeigen – auch noch auf ziemlich schlecht ausgeebneten Wegen einsetzen und dafür, dass Wege aus den Siedlungen hinaus geführt worden sind, gibt es verschiedene Belege. Die neolithischen Bohlenwege der Moorgebiete Norddeutschlands zum Beispiel haben uns schon lange gelernt, dass wir in der uns hier interessierenden Zeit durchaus mit einem Wegnetz rechnen dürfen, das auch grössere Distanzen überspannte. Die Wagenreste führen uns zu Fragen der ganzen Infrastruktur einer Siedlungslandschaft, denen wir noch immer zuwenig Beachtung schenken.


Ruoff, Ulrich, Die schnurkeramischen Räder von Zürich Pressehaus. Archäologisches Korrespondenzblatt 8, 1978, Heft 4, S. 275 – 283.

Winiger, Josef, Das Spätneolithikum der Westschweiz auf Rädern. helvetia archaeologica 71 / 72, 1987, S. 78 – 109.

Wyss, René, Ein neolithisches Radfragment aus dem Wauwilermoos. helvetia archaeologica 55 / 56, 1983, S. 145 – 152.